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Ich wollte an dieser Stelle vor allem persönliche Lebensgeschichten von Betroffenen bringen. Das braucht aber noch etwas mehr Zeit. Nun sind mir die untenstehende Artikel in die Hände gefallen...


aus: Mainpost.de, 20.03.2007
Wenn der Sex das Leben zur Hölle macht
 
WÜRZBURG Sex verkauft sich gut. Werbung und Medien setzen auf nackte Haut. Die Sexindustrie lässt keine Zweifel offen: Je mehr, desto besser. Die tabuisierte Schattenseite: In Deutschland gibt es rund eine halbe Million an Menschen, die unter Sexsucht leiden.



Sie ist eine ernsthafte Erkrankung. Der Würzburger Paar- und Sexualtherapeut Dr. Stefan Oschmann beschreibt Ursachen, Auswirkungen und Hilfsmöglichkeiten. Verkehrte Welt: "In unserer Gesellschaft gelten Menschen, die wenig Sex haben, als behandlungsbedürftig - mit der Begründung, dass mit ihnen ja was nicht stimmen kann", sagt Dr. Stefan Oschmann, Leiter der Psychotherapeutischen Beratungsstelle des Studentenwerkes Würzburg.
Der Paar- und Sexualtherapeut kennt die Gegenseite: Menschen, die unter Sexsucht leiden. Und diese Sucht ist keineswegs zu verharmlosen mit der Ansicht, dass Sexsüchtigen "halt etwas zu viel des Guten" genießen. Wie jede Sucht, kann auch Sexsucht die Hölle sein. Und sie ist eine ernsthafte Erkrankung. Betroffen sind in Deutschland rund eine halbe Million Menschen. Sexsucht ist ein Tabuthema. Frauen sind weniger betroffen. Sexsucht zeigt sich in unterschiedlichen Formen.
Der Therapeut nennt Beispiele: Telefonsex, ständig wechselnder anonymer Sex ("zum Beispiel die Dark-Rooms in der homosexuellen Szene"), Sex gegen Geld bei Prostituierten, Exhibitionismus, voyeuristischer Sex, Sex mit Fetischobjekten, Cybersex im Internet (vor allem Kinderpornografie) und Sex mit Kindern. Da es so gut wie nie vorkommt, dass Sexsüchtige von sich aus Hilfe suchen, allein schon aus Scham, fällt ihr Verhalten erst auf, wenn es finanzielle, soziale, rechtliche Konsequenzen hat. Wenn sie sich verschulden wegen hoher Telefonrechnungen oder durch ständige Besuche im Rotlicht-Milieu, wenn sie Probleme im Bekanntenkreis und in der Partnerschaft oder mit der Justiz bekommen. Sexsucht ist wie jede andere Sucht, etwa die nach Alkohol, nicht heilbar. "Man kann in einer Therapie nur versuchen, dass Menschen lernen, anders mit ihrem Impuls umzugehen", sagt Dr. Oschmann. Der erste Schritt in einer Therapie ist, dass der Sexsüchtige die negativen Folgen seines Verhaltens begreift, dass er erkennt, dass es selbstzerstörerisch ist, weil der Sex immer mehr und ausufernder und letztlich quälender wird. Oder dass seine Sucht für andere lebensbedrohend wird. "Das Bedürfnis wird nie gestillt", beschreibt der Würzburger Therapeut das Problem.
Darüber hinaus muss der Sexsüchtige den Grund seiner Suchtentwicklung verstehen, das Warum. Meist ist es, wie bei allen Süchten, die Suche nach Entspannung, nach Sich-wohl-Fühlen, nach Glück, Nähe, Geborgenheit. Mit viel Sex, ebenso mit viel Alkohol oder mit Drogen, versuchen Menschen, sich intensiv zu erleben. Ohne Suchtmittel und aus sich heraus schaffen sie es nicht. Hintergrund, warum sich für einen Menschen alles um Sex dreht, ist oft, dass er unter extremen Lebensumständen aufgewachsen ist, dass in seiner Kindheit Verwahrlosung, Angst und Gewalt das Familienleben prägten. Dr. Oschmann nennt als deutlichen Hinweis ein Untersuchungsergebnis, bei dem festgestellt wurde, "dass mehr als vier Fünftel der Sexsüchtigen in ihrer Kindheit und Jugend sexuell missbraucht worden sind".
Später versuchen sie durch Wiederholung, ihr Trauma zu bewältigen. "Aber es ist der falsche Weg." Mit dem Begreifen und Hinterfragen der Sucht sieht die Therapie von Anfang an einen weiteren wichtigen Punkt vor: acht bis zwölf Wochen sexuelle Abstinenz, keine sexuelle Handlung, weder mit sich oder mit anderen oder in der Fantasie. Der Oschmann vergleicht diese Maßnahme mit der bei Alkoholkranken. Das Suchtmittel muss gemieden werden, ebenso die Reize, die das Verhalten auslösen. Große Hilfe und Motivation sind der Besuch und der Erfahrungsaustausch in einer Selbsthilfegruppe. Sexsüchtige erkennen meist erst dann, dass sie nicht die Einzigen sind, die dieses Problem haben.









Hier geht es immer noch nicht um Pornosucht. Aber die Grundstruckturen der Süchtigen sind ungefähr gleich. Nur der Suchtstoff wechselt.

Internet-Sucht
„Es war die Hölle“*
Von Thomas Thiel, Frankfurt


05. Januar 2007 
Als Tom Kittner (Name geändert) im vergangenen Sommer aus seinem Urlaub in England zurückkam, ging er wie gewohnt sofort an seinen PC und versuchte, sich einzuloggen. Viermal probierte er vergeblich, die Verbindung zum Internet herzustellen. Dann rastete er aus. Es kam eine Wut in ihm hoch, die er so noch nicht erlebt hatte. Er schrie und heulte und verfluchte seine Mutter, die während seiner Abwesenheit den Internetzugang hatte sperren lassen. Wenig fehlte, und er wäre gewalttätig geworden. „Es war die Hölle“, sagt Kittner. „Es war, als hätte man mir mein Leben weggenommen.“ Drei bis vier Monate habe er gebraucht, um in seinem Leben einen Sinn jenseits des Internets zu finden. Erst jetzt, ein halbes Jahr später, sei er wieder der Alte.

Tom Kittners Leben hatte eineinhalb Jahre lang fast ausschließlich aus der virtuellen „World of Warcraft“ bestanden. Mit 15 Jahren hatte er mit dem Online-Spiel angefangen, das weltweit von Millionen Usern gespielt wird. Zuerst zwei Stunden täglich. Dann verbrachte er immer mehr Zeit vor dem PC, und er begann, sich ganz von der Außenwelt zurückzuziehen. Kaum aus der Schule zurückgekommen, ging es ihm bald nur noch darum, sich möglichst schnell in die Online-Community einzuloggen und bis in die späten Abendstunden durchzuspielen. Mit seiner Familie sprach er in dieser Zeit fast kein Wort mehr. Ein Privatleben jenseits des Internets existierte für ihn nicht mehr: „Ich habe meine Zeit mit den Leuten dort verbracht. Die waren meine Familie und meine Freunde.“

Für Kittners Mutter, die nicht tatenlos zusehen wollte, wie sich ihr Sohn immer weiter in der virtuellen Welt verschanzte, war es die letzte Rettung, das Internet von einem Techniker abstellen zu lassen. Auch wenn ihr Sohn ihr den kalten Entzug bis heute nicht ganz verzeiht, ist er letztlich froh über die Konsequenz seiner Mutter. „Das kann auch richtig krass Familien zerstören“, sagt Kittner. „Ich kenne viele, die sich durch ihre Online-Sucht die schulische Karriere zerstört haben.“

„Internet Addicition“
Es war als Scherz gemeint, als der New Yorker Psychiater Ivan Goldberg den Begriff „Internet Addicition“ Mitte der neunziger Jahre zum ersten Mal als Scheindiagnose fallen ließ und ein fiktives Diagnosemuster aufstellte. Ein Scherz, der von Goldbergs Patienten und Kollegen jedoch missverstanden wurde: Immer mehr Patienten meldeten sich bei ihm und bezogen das Diagnosemuster auf sich. Auch Goldbergs Kollegen hielten den neu geschaffenen Begriff offenbar für dringend erforderlich, um therapeutische Erfahrungen zu beschreiben, die bislang unbenannt geblieben waren. Ernsthafte Studien bezifferten in den folgenden Jahren die Internetabhängigkeit in Deutschland auf zwei bis sechs Prozent der Internetnutzer. Die Ergebnisse divergieren, je nachdem, ob die Befragungen innerhalb oder außerhalb des Internets ausgeführt werden.
Medizinisch ist der Begriff weiterhin umstritten. Die empirische Forschung tut sich schwer, exakte Kriterien der Abhängigkeit zu beschreiben, und meidet für gewöhnlich den Begriff der Sucht. Wie die meisten Wissenschaftler spricht die Psychologin Sabine Meixner von der Freien Universität Berlin lieber von exzessivem Internetverhalten. „Von den maßgeblichen Institutionen wie der WHO ist Internetabhängigkeit nicht als Sucht anerkannt, weil die Abhängigkeit nicht stoffgebunden ist“, sagt Meixner. Die Internetseite, auf der die Wissenschaftlerin ihre Ergebnisse teilweise veröffentlicht, heißt dann aber doch
www.internetsucht.de.

„Ich bin definitiv online-süchtig gewesen“
Die Frage nach der passenden Benennung des Phänomens scheidet Wissenschaftler und Medienberater von Therapeuten und Patienten. „Ich bin definitiv online-süchtig gewesen“, sagt Tom Kittner. Auch für Gabriele Farke, eine ehemals selbst Online-Süchtige, die sich in zahlreichen Veranstaltungen um Aufklärung über das Phänomen bemüht, ist die Benennungsfrage eine haarspalterische Diskussion. „Die Zeiten, in denen man das als exzessive Internetbenutzung bezeichnen konnte, sind vorbei. Für uns ist es unumstritten, dass das eine Sucht ist.“ Die Frage, wann von einer Sucht zu sprechen sei, ist jedoch auch für Farke nicht leicht zu beantworten. Es gehe darum, wer wen dominiert, sagt sie. Sobald die virtuelle Realität wichtiger als die reale werde, die CyberRomanze bedeutsamer als die private Beziehung und man Freude und Anerkennung eher im Netz findet als in der realen Welt, sei von Online-Sucht auszugehen. Die Übergänge seien jedoch fließend. Oft wüssten die Betreffenden selbst nicht, ob sie sich als süchtig bezeichnen sollen.
Auf Farkes Internetportal
onlinesucht.de findet sich zu jedem der genannten Kriterien seitenweise Belegmaterial, das in schrillen Tönen die Folgen des langsamen Kontrollverlusts über das Internet beschreibt. Es geht hier um Männer, die weinend neben ihrer Partnerin im Bett liegen, weil sie nach dem Konsum zahlloser Sexseiten keine Sensibilität mehr für sie aufbringen können. Es geht um Frauen, die vor Verzweiflung aufheulen, weil sie sich von den Online-Kontakten ihrer Partner hintergangen fühlen. Es geht um verlorene Arbeitsplätze, gescheiterte Beziehungen und den Zerfall von Familien. Eine Chatterin schreibt über ihre Schwester, die ihre Kinder vernachlässigte und ihren Mann aus der Wohnung warf, weil sie jede freie Minute am Rechner verbringen wollte.
Ein anderer beklagt den Verlust seines Arbeitsplatzes. „Mir ist die Sucht sehr klar bewusst geworden, denn sie hat meine Ausbildung auf dem Gewissen! Ich habe die Prüfung vergeigt, und meine beruflichen Leistungen haben sehr nachgelassen. Ich befinde mich momentan in einem Schlichtungsverfahren mit meiner Ex-Chefin, weil sie mich widerrechtlich gekündigt hat.“ Eine Dritte beklagt die Folgen der Online-Sexsucht ihres Ehemanns: „Ich fühle mich, als zerreiße in mir mein Herz. Er schmiss unser gemeinsames Geld, unser Leben, unsere Beziehung und unsere Tochter einfach über den Haufen - für ein bisschen ,Zärtlichkeit aus dem Internet'. . . . Ja, ich bin traurig. Ungemein traurig. Schockiert über diese Nachricht: Mein Mann online-sexsüchtig.“ Neben der Spielsucht ist vor allem die Online-Sexsucht ein schnell wachsendes Phänomen. Die dritte Kategorie der Kommunikationssucht ist hingegen im Rückgang begriffen.

Unreif-gehemmten Persönlichkeitsstruktur
Was sind es für Charaktere, die Mitternächte und Wochenenden im Internet verbringen und für das „Real“, wie sie es nennen, kaum noch Interesse aufbringen können? Für Sabine Meixner sind es in der Regel Personen mit einer unreif-gehemmten Persönlichkeitsstruktur. Problem-User, wie Meixner sie nennt, hätten meist schon ein gewisses Profil. Sie fühlten sich von normalen Alltagsaufgaben überfordert, gingen Herausforderungen lieber aus dem Weg und lenkten sich ab. Das Internet sei für solche Leute ein ideales Problembewältigungsinstrument, sagt Meixner. Das trifft sich mit Tom Kittners Erfahrungen. Seine Mitspieler auf der virtuellen Spielwiese der „World of Warcraft“ beschreibt er als Abbild seiner selbst: Außenseiter, die sich untereinander gut verstehen. Er selbst sei zwar eine „relativ charakterstarke Persönlichkeit“; doch nachdem er fast alle Freunde in seinem Offenbacher Umfeld verloren hatte, sei auch er immer weiter in die Spielsucht hineingerutscht. Die Spielergemeinschaften, zu denen sich die „World of Warcraft“-Spieler zusammenschließen, hätten ihn dazu gezwungen, mindestens vier Stunden am Tag vor dem Computer zu verbringen. Wenn es darum geht, schwierige Aufgaben zu lösen, müssen sich alle Mitglieder dieser sogenannten Gilden treffen. Wer in solchen Momenten fehlt, riskiert, vom Gildenleader ausgeschlossen zu werden und die Anerkennung zu verlieren, die er sich in der Spielergemeinschaft erworben hat.
Die Kompensation fehlender Anerkennung ist einer der vielen Gründe für das große Suchtpotential des Internets. „In der virtuellen Welt ist Gratifikation leichter zu erhalten“, sagt der Kölner Medienwissenschaftler Jürgen Fritz. Das Netz ist eine Welt niedriger Zugangsschwellen. In einem Chat fällt das Artikulieren der eigenen Wünsche wesentlich einfacher als im „realen Leben“. Die Kommunikation in den Foren ist wesentlich ungehemmter. Schon nach wenigen Minuten gemeinsam verbrachter Online-Zeit kommen die Chatter umstandslos zur Sache. Die Beziehungen, die sie dabei eingehen, sind wiederum leicht kündbar. Sie bleiben hinter Pseudonymen versteckt und müssen keine negativen Konsequenzen befürchten. „Das Internet war wie geschaffen für jemanden wie mich“, schreibt ein ehemals Internet-Süchtiger auf onlinesucht.de. „Ich hatte die Möglichkeit, unbegrenzt und vor allem anonym all meine Wünsche und Bedürfnisse zu befriedigen. Ich brauchte keine Angst mehr zu haben, dass mich jemand verletzen könnte, dass jemand mit meinen Gefühlen spielen würde.“

Zugang zu einer Gemeinschaft
Zudem erhält man im Netz ziemlich einfach Zugang zu einer Gemeinschaft, die sich als Elite gibt. Man brauche eben kein Talent für „World of Warcraft“, sagt Tom Kittner. Wer nur genügend Zeit investiere, könne die Karriereleiter innerhalb des Spiels hochsteigen und bekomme die Anerkennung und Bewunderung, die ihm im Leben sonst vorenthalten bleiben. „Im Internet war ich wer“, schreibt ein anderer Teilnehmer von Farkes Onlineforum. „In dem Spiel gab es gewisse Stufen, die man erreichen konnte. Je höher die Stufe, je höher das Ansehen. Innerhalb von acht Monaten hatte ich die höchste Stufe erreicht. Ich wurde geachtet, ich wurde gemocht. Genau das, was ich immer wollte. Im Real haben mich meistens alle gehänselt, ich war ein Niemand. Aber im Spiel war ich ein JEMAND.“
Von ihrer „realen“ Umgebung frustriert, bauen sich viele Spieler eine Art virtuelle Identität auf, die jedoch schwer auf die Belange der „realen Welt“ zu übertragen ist. Den meisten Online-Süchtigen kommt ihre unmittelbare Umwelt unwirklich und falsch vor. Weil sie den Mitmenschen virtuell eher unter taktischen Gesichtspunkten kennenlernten und Auge und Hand die einzigen Notwendigkeiten seien, die im Internet notwendig sind, könne es „zu einer unbewussten Vernachlässigung bestimmter Sinneseindrücke kommen, die letztlich zu einer Veränderung des Repertoires menschlicher Ausdrucksmöglichkeiten führt“, schreibt der Informatiker Wolfgang Hesse von der Universität Marburg.
Tom Kittner hat seine geglückte Flucht aus der Abhängigkeit vor allem seiner Mutter zu verdanken. Er kenne viele Mitschüler, deren Eltern es gleichgültig gewesen sei, wenn ihre Kinder bis in die frühen Morgenstunden spielten, die Schule schwänzten und in der Notenskala abrutschten. Anders seine Mutter. „Sie ist einzigartig“, sagt Tom Kittner. „Eine krass gute Persönlichkeit und eine Powerfrau. Hut ab!“

*ungekürzt übernommen aus
FAZ.net vom 09. Januar 2007